„Mit dem Konzept der Work-Life-Balance kann ich persönlich nicht so viel anfangen“
01.03.2024, berichtet von Dr. Oliver Greuling
Auf die Frage nach seiner Arbeitsbelastung als Ökonom bei der Weltbank in Washington, D.C. (USA):
„Zu 90 Prozent gehe ich gerne zur Arbeit in der Weltbank und muss Berufliches von Privatem nicht unbedingt trennen, weil es zueinander passt für mich und ich meine Arbeit gerne mache“, so begründete er seine Ansicht.
In loser Folge referieren Ehemalige des Internationalen Zugs am Wirtschaftsgymnasium über ihre Ausbildungsstationen seit dem Abgang als Abiturienten. Dr. Sebastian Horn zählt zum ersten Jahrgang einer Klasse mit Global Studies, die im Jahr 2007 mit dem Abitur abschloss. Am 20. Februar 2024 beantwortete er die ihm vorab zugestellten Fragen aus den beiden Internationalen Klassen im Hörsaal der Humpis-Schule und beschrieb zunächst wie gewünscht seinen Werdegang.
Schulzeit am Wirtschaftsgymnasium, Studium und Promotion
Für die Schule selbst könne Sebastian keine besonderen Lernstrategien empfehlen, er habe sich damals nicht damit beschäftigt, wie man besonders effektiv lernt. Sein Lieblingsfach sei dabei weder BWL oder VWL gewesen, sondern: Sport. Bescheiden legte er nach, dass er mit seinem Abiturschnitt von Eins-Komma-Null vom damaligen WG-Chef für die Studienstiftung des deutschen Volkes erfolgreich vorgeschlagen wurde. Das damit vermittelte Stipendium ermöglichte ihm entsprechend hohe Freiheitsgrade im Studium. Allerdings musste er sich da Lernstrategien aneignen, um das schiere Pensum an Stofffülle zu bewältigen.
Sein Weg in die „World Bank“ führte ihn nach dem Wirtschaftsgymnasium und anschließenden Zivildienst, dem Bachelor-Studium Internationale Beziehungen und VWL in St. Gallen, dem Master-Studium in VWL an der Universität Cambridge und letztlich der Promotion an der LMU München und Harvard Kennedy School. Im Nachhinein betrachtet höre sich das recht geradlinig an, dabei hätten sich die jeweils nächstens Schritte immer aus dem vorherigen ergeben und waren weniger stringent so geplant. Basis für alle Schritte sei sein starkes Interesse an volkswirtschaftlichen Zusammenhängen gewesen, mit welchem sich die Verschuldung von Ländern mit statistischen Verfahren abgesichert analysieren lässt.
Arbeiten in der Weltbank
Sebastian empfahl sich mit entsprechenden Forschungsarbeiten und Publikationen für eine Tätigkeit bei der Weltbank. Der Umzug in die USA sei für ihn und seine Frau problemlos gewesen, weil dort Beschäftigte einen Sonderstatus genießen und ihnen keine bürokratischen Hürden in den Weg gelegt werden. Seit dem Jahr 2021 arbeitet er als Ökonom im Chief Economic Office der Weltbank. Sebastian definierte die Aufgaben der internationalen Einrichtung mit Sitz in der US-Hauptstadt Washington, D.C., deren Eigenkapital als UN-Sonderorganisation von 189 Mitgliedsländern bereitgestellt wird, wobei die USA die größten Geldgeber seien. Die „World Bank“ verstehe sich als Entwicklungsbank, deren Ziel sei, „to end extreme poverty and to promote shared prosperity“, sie gebe sich also damit als „Bank“ die Aufgabe, im Wortsinn „Entwicklung“ zu fördern.
Das sei vor dem Hintergrund zu verstehen, dass etwa 800 Millionen Menschen weltweit, vor allem in der afrikanischen Sub-Sahara-Zone von weniger als 2 US-Dollar am Tag leben müssten. Dabei erfolge die Vergabe von Krediten und Zuschüssen vor allem für Infrastrukturprojekte an Entwicklungsländer, sofern deren Umsetzung glaubhaft vermittelt werden kann; die angesetzten Maßstäbe seien also ganz ähnlich wie bei jedem Kreditinstitut. In mehr als 130 Büros weltweit sind 16.000 Mitarbeiter für die Vergabe solcher Kredite in Höhe von 100 Mrd. US-Dollar pro Jahr verantwortlich.
Dem Chief Economist Office der Weltbank stand bis vor kurzem die VWL-Professorin Dr. Carmen Reinhart von der Universität Harvard vor, welches mit fünf bis zehn Mitarbeitern die Weltbank in Fragen von Entwicklungsstrategien berät. Der momentane Schwerpunkt läge auf den Schulden- und Finanzkrisen von Entwicklungsländern, wobei die Bewältigung der Auswirkungen der Covid-Krise, des Kriegs in der Ukraine und die Herausforderungen durch die Zinswende sowie die anhaltende Inflation zentrale Aufgaben sind.
In diesem Team arbeitet Sebastian, dabei fallen ihm zwei Aufgaben zu. Einerseits geht es um Öffentlichkeitsarbeit und das Beantworten von Anfragen von Länderteams sowie vom leitenden Management der Weltbank. Als Beispiele nannte er die Fragen nach dem Effekt der schwelenden Insolvenz des größten Bauunternehmens in China, Evergrande, oder der steigenden Lebensmittelpreise im Zuge des Ukraine-Kriegs auf Entwicklungsländer. Andererseits beschäftigt er sich konzeptionell und ganz praktisch mit der Frage der Schuldentragfähigkeitsanalyse von Entwicklungsländern, wenn es darum geht, großen Kreditbedarf der Krisenanfälligkeit gegenüberzustellen. Letztlich geht es hierbei um die Beurteilung des Ausfallrisikos und damit den Erfolgsaussichten des Projekts.
Nachfragen aus dem Publikum
Nach jedem inhaltlich neuen Abschnitt ermunterte Sebastian mit seiner gewinnenden und zugewandten Art zu Zwischenfragen. Er beantwortete sie allesamt ehrlich und ohne zu beschönigen.
Inwiefern die Entwicklungsprojekte denn tatsächlich erfolgreich seien, welche die Weltbank bezuschusse, lautete eine Frage. Sebastian räumte dazu ein, dass es leider nicht immer gelänge, den erwünschten Erfolg zu erreichen, vor allem, wenn Gelder durch Korruption in einem geförderten Land versickern würden. Allerdings gebe es auch viele gute Beispiele für die gelungene Umsetzung von Infrastrukturprojekten.
Auf die Frage nach dem wachsenden geo-politischen Einfluss Chinas konstatierte er, dass man in der westlichen Welt lange den Umschwung in Chinas politischer Führung weg von einem offenen und Werten wie Demokratie gegenüber aufgeschlossenem Land, wie sich China noch im Vorlauf und während der Olympischen Sommerspiele 2008 gab, übersehen habe. Chinas Einfluss weltweit sei massiv, die Folgen und Absichten im Moment schwer einzuschätzen. Die nach westlichen Vorstellungen und Idealen geprägten Entwicklungsleistungen der Weltbank seien herausgefordert durch Chinas offensichtliche Bestrebungen nach einem Wechsel der bisherigen Vorherrschaft der USA.
Aufgrund der Nähe zur US-Politik mit dem zeitweisen Wohnort in Washington, D.C., war die Frage nach dem möglichen Ausgang der Präsidentschaftswahl in den USA naheliegend. Sebastian teilte dazu mit, dass er die Befürchtung habe, der potentielle Herausforderer Trump könne sich die körperlichen Schwächen des Amtsinhabers Biden zunutze machen im Wahlkampf. Ein drastischer Wechsel im bislang zuverlässigen transatlantischen und -wirtschaftlichen Gefüge stünde damit eventuell bald an.
Rückmeldungen
Das Publikum bedankte sich mit langem Applaus für den anschaulichen Vortrag. Sebastian referierte die komplexen Zusammenhänge für das interessierte Publikum aus allen Schularten und den sie begleitenden Lehrkräften zugänglich und verständlich. Er verzichtete auf die Verwendung von angel-sächsischen Fachtermini und darauf, seine Ausführungen mit komplexen Statistiken zu belegen. Er sprach ohne Redundanzen und formulierte praktisch druckreif, womit es ihm gelang, die Spannung zwischen dem Publikum und ihm die ganze Zeit über aufrechtzuhalten. So jedenfalls lauteten einige Kommentare im Nachgang.
Der zufällig anwesende Fachdidaktik-Kurs BWL eines Seminar-Ausbilders und Jahrgangskameraden Sebastians wusste den Vortrag ebenso sehr zu schätzen. „Man konnte Sebastian fachlich folgen und gerne zuhören, weil er methodisch versiert präsentierte; und zudem hat er eine angenehme Sprechstimme – solche Profs hatten wir an der Uni nicht immer durchgängig“, meinten zwei angehende Lehrkräfte bei der Reflexion des Vortrags.
Sebastian stand am Schluss für individuelle Fragen der Schülerinnen und Schüler zur Verfügung, bevor es Heim zu seiner Frau und seinem kleinen Sohn ging, um von dort aus den eigentlichen Arbeitstag zu beginnen. Sein Arbeitgeber, die Weltbank, ermöglicht ihm für einige Monate von Ravensburg aus ‚remote‘ zu arbeiten, was zeitversetzt geschieht. Sebastian ist sich dieses Vorzugs bewusst, und vielleicht ist auch diese Familienfreundlichkeit einer der Gründe, weshalb er seiner Arbeit bei der Weltbank gerne nachgeht.